Schafe ohne Hirten

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Werner noch jung

Unser ehemaliger Stadtverbandsvorsitzender, Fraktionssprecher und Beigeordneter Werner Bohn und seine Gedanken zur bevorstehenden Bundestagswahl 

Schafe ohne Hirten?

 

„Denn sie waren verschmachtet und verstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben.“ (Matthäus 9, 36) So wird die Lage der Menschen beschrieben, die um Jesus herum waren und auf einen Messias hofften. Ohne guten Hirten verlaufen sich Schafe und werden ohne seine Pflege krank. Wie gut es den Herden geht, hängt darum vom Hirten ab. An den Schafen erkennt man, wie sehr der Hirte sich um sie kümmert.

 

Das Bild vom guten Hirten ist ein besonders Tröstliches im Christentum. Der entsprechende Psalm 23 - „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln“ - ist vielleicht der beliebteste, den kennen viele von uns seit ihrer Konfirmandenzeit auswendig. Meine Großeltern hatten in ihrem Schlafzimmer ein großformatiges Bild mit goldfarbenem Rahmen hängen, auf dem ein Hirte im klassischen Jesus-Aussehen eine Schafherde zusammenhält.

 

Am 26. September stehen die Bundestagswahlen an. Da geht es um einen neuen Hirten (oder eine Hirtin) für die Herde. Der Vergleich scheint sehr weit her geholt. Oder auch nicht. Ein kritischer Mensch in unserer Gemeinde verblüffte vor einiger Zeit mit der Aussage: „Wir bräuchten eigentlich einen guten Diktator, der bestimmt, was getan werden muss!“ Also ins Bild übertragen: einen guten Hirten, der uns zusammenhält, sich um uns in jeder Lebenslage kümmert, vielleicht mit ein paar Schäferhunden, die uns sowohl schützen als auch im Zaum halten. Wie kommt ein aufrechter Demokrat und Christ zu solch einer verwegenen Aussage?

 

Machen wir uns nichts vor: Unser freiheitliches, demokratisches, offenen Gesellschaftssystem steht massiv unter Beschuss. Nicht nur von den politischen Rändern, ob rechts oder links. Nein, sondern aus seiner Mitte heraus. Sind wir nicht alle gut geübt in der Kritik an den politisch Handelnden und Verantwortlichen in Stadt und Land? Haben wir nicht eine Menge guter Gründe zu schimpfen auf vermeintliche Fehlentscheidungen, Nachlässig- und Eitelkeiten. Pauschal werden sie in den Sack gesteckt, auf den man verbal einzuprügeln gewohnt ist: d i e Politiker. Allzu selten wird mal eine oder einer gelobt. Wir haben uns zu sehr daran gewöhnt die Demokratie schlecht zu reden. Dabei müssten wir wissen, dass es Besseres nicht gibt.

 

Oder doch? Sicherlich wünschen wir uns nicht alte Zeiten zurück, in denen der Adel regierte und das Volk zur Fronarbeit gezwungen wurde. Sicherlich wünschen wir uns nicht die Zustände in Diktaturen rund um den Erdball, von denen uns die Tagesschau fast täglich Schlimmes berichtet. Sicherlich nehmen wir uns kein Beispiel am Irrwitz, den wir vor noch nicht allzu langer Zeit jenseits des Atlantik beobachten mussten. Aber der Traum vom guten Hirten hängt noch fest im Bewusstsein, vielleicht aus Kinderzeiten, wenn wir das Glück guter Eltern hatten, die uns (be-) hüteten. Auch die Sehnsucht von uns Menschen nach dem in der Bibel beschriebenen Gott oder Gottessohn, der alles zum Besten richtet, bleibt.

 

Dennoch werden wir am 26. September (oder vorher schon mit Brief) eine Wahl treffen und darauf hoffen, dass die Gewählten dann versuchen werden, nach bestem Wissen und Gewissen für das Wohl der Herde zu sorgen. Die Gewählten werden wie ihre Vorgänger nicht perfekt sein, und wir dürfen sie auch kritisieren. Ob die Partei unserer Wahl in die Regierung kommt oder andere, sie werden eine oder einen an die Spitze der Herde stellen, die oder der für die nächsten vier Jahre führen soll. Wir haben die Möglichkeit dabei mit zu stimmen – das sollten wir nutzen, immer in der Hoffnung auf einen guten Hirten oder eine gute Hirtin auf Zeit. Einen guten Diktator wird es nie geben.

Werner Bohn

 

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